Cannstatter Stolperstein-Initiative

Eugen Plappert: Kein Vorbild, dennoch ein Opfer

Eugen Plappert, undatiert.Wer die Stolperstein-Arbeit reflektiert, beobachtet eine zunächst kaum hinterfragte Identifikation mit den Opfern. Es ist, als verbiete die überwältigende Größe des Unrechts, den Blick auf die Schattenseiten der Gemordeten. Mit Eugen Plappert will die spontane Identifikation allerdings nicht gelingen, obwohl er nach fünf Jahren im KZ Flossenbürg in der Euthanasieanstalt Bernburg/Saale ermordet wurde. Er sei am 29. Mai 1942 „an den Folgen einer Herzschwäche nach Lungenentzündung“ gestorben, belog der Lagerarzt die Familie.

Am 25. Juli 1887 in Fellbach geboren, hat Eugen Plappert als Jugendlicher eine Gürtlerlehre absolviert, in seiner Freizeit widmete er sich dem Kraftsport. 1907 bis 1909 leistete er seinen Wehrdienst in Weingarten ab. 1910 wurde er wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu 8 Tagen Gefängnis verurteilt. 1911 schloss er die Ehe mit Magdalene Sturm und wohnte mit ihr seit 1915 in der heutigen Reichenbachstraße.Wohnhaus Reichenbachstraße 38. Das Paar hatte inzwischen drei Söhne. In nächster Nachbarschaft der Familie wohnte der Fahnder Christian Wirth, ein überzeugter Nationalsozialist, dem eine bemerkenswerte Karriere bevorstand: als Kriminalkommissar, SS-Sturmbannführer, Inspekteur der Euthanasie-Anstalten und seit August 1942 Inspekteur mehrerer Vernichtungslager. Er und der stets aufmüpfige Plappert pflegten eine private Fehde.

Im August 1914 war Plappert mit der 51. Ersatzbrigade nach Frankreich in den Krieg gezogen und alsbald bei einem Angriff verschüttet worden. Wegen „geistiger Störung im Anschluss an Granatexplosion bzw. Verschüttung im Feld“ wurde er danach in mehreren Anstalten psychiatrisch behandelt und alsbald berentet. 1915 bis 1918 steht er in Diensten der Firma Eisenmann. In diese Zeit fällt seine zweite Verurteilung, wiederum wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Eine Verurteilung wegen Notzucht und Amtsanmaßung datiert sein Strafregister ins Jahr 1920. Zwei Jahre Gefängnis und fünf Jahre Ehrverlust lautete das Urteil, dem bis 1935 16 weitere folgen sollten, insgesamt stand Eugen Plappert 20 Mal vor Gericht. Totschlag und fahrlässige Körperverletzung, Widerstand, Hehlerei, Diebstahl, Führen einer Schusswaffe ohne Waffenschein zählt der Strafregisterauszug bis August 1935 unter anderem auf. Seine letzte Strafe, ein Jahr Gefängnis, hat er allerdings am 14. Oktober 1936 verbüßt.

Mit einem Erlass vom 23. Februar 1937 befahl Reichsführer SS Heinrich Himmler, etwa 2000 „nicht in Arbeit befindliche Berufs- und Gewohnheitsverbrecher schlagartig an einem Tag im ganzen Reichsgebiet festzunehmen und in den Konzentrationslagern unterzubringen lassen.“ Die Verhaftungen fanden am 9.März 1937 statt. Vieles deutet darauf hin, dass Christian Wirth aus alter Feindschaft die Verhaftung seines früheren Nachbarn veranlasst und persönlich vorgenommen hat. Verbürgt ist, dass er zunächst ins KZ Dachau und 1938 nach Flossenbürg deportiert und dort als Nummer 561 registriert wurde. Er und 206 weitere Leidensgenossen sind 1942 der „Aktion 14f13“ zum Opfer gefallen, der ersten systematischen Massentötung in den Konzentrationslagern. Das Aktenzeichen 14f13 stand für Tod im Lager (14f) und Gas (13). Die Aktion war ein erster Schritt zum Völkermord an den europäischen Juden und diente der gewaltsamen Eliminierung von Kranken und Arbeitsunfähigen aus den Konzentrationslagern. In Flossenbürg waren diese Schwachen im „Strumpfstopferkommando“ zusammengefasst, dem Plappert als Kapo zugeteilt war. War er gesundheitlich am Ende oder hat er auf die unmenschlichen Haftbedingungen wie schon in früheren Jahren mit einer Haftpsychose reagiert? Wir wissen es nicht.

Eugen Plappert, undatiert.Plapperts Familie hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg jahrelang vergebens um Wiedergutmachung bemüht. 1955 urteilte das Landgericht Stuttgart, die Haft sei zwar ein großes Unrecht gewesen, jedoch sei der Kreis der Wiedergutmachungsberechtigten „mit Absicht eng gehalten und umschließt nur jene, die aus lauterer und achtenswerter politischer Überzeugung oder wegen ihrer Weltanschauung, ihrem Glauben oder ihrer Rasse verfolgt und geschädigt worden sind.“ In solchen Urteilen und dem zugrunde liegenden Gesetz dürfte eine der Ursachen für den auf vermeintlich Unschuldige eingeengten Opferbegriff liegen. Wie sehr sie das Bedürfnis nach Gerechtigkeit verletzt haben, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Magdalene Plappert bis zu ihrem Tode von Sozialhilfe leben musste. Maria Wirth hingegen, Witwe des einstigen Nachbarn aus der Reichenbachstraße, der als Experte des Massenmordens in Belzec, Treblinka, Sobibor und später in Triest aktiv am Holocaust beteiligt war, erhielt die Witwenpension eines Kriminalrats.

Keine kriminelle Handlung Eugen Plapperts soll beschönigt werden. Jedoch ist mit Patrick Wagner1 an die Selbstverständlichkeit zu erinnern, dass es „weder ‚wertvollere‘ noch ‚minderwertige‘ Opfer des Nationalsozialismus gibt“. Plappert hatte seine Strafen verbüßt, und die Chance erhalten, fortan ein unauffälliges Leben zu führen. Niemand kann ihm posthum absprechen, dass er diese Chance genutzt hätte. Stattdessen ist er zum Opfer einer Ideologie geworden, die sich das Urteil „minderwertig“ über Menschen anmaßte. Mit einem Stolperstein für Eugen Plappert soll an das ihm widerfahrende Unrecht erinnert und ein wenig Gerechtigkeit wiederhergestellt werden.

Erinnert sei zuletzt noch daran, dass es sich bei den von der Gestapo in Vorbeugehaft genommenen so genannten „Berufsverbrechern“ und „Asozialen“ um keine kleine Gruppe handelt. „Bis 1943 war die Zahl der von der Kripo als ‚Berufsverbrecher‘ oder ‚Asoziale‘ in die KZ Deportierten auf über 70 000 angestiegen. Die Mehrheit dieser Menschen überlebte die Haft nicht.“2

Reichenbachstraße 38, Stolperstein verlegt am 23. November 2011.

© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative
© Bilder: Staatsarchiv Amberg, Privat, Anke Redies

  • 1. Patrick Wagner: „Vernichtung der Berufsverbrecher“, in: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, hrsg. Von Ulrich Herbert, Karin Orth und Christoph Dieckmann, Taschenbuchausgabe, S. 104
  • 2. Patrick Wagner a.a.O.

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