Cannstatter Stolperstein-Initiative

Gabriele Machauer: Ärztlich ermordet

Mechtild Schöllkopf-Horlacher: Für GabrieleNeugeborene und Kleinkinder mit schweren Behinderungen galten den Nationalsozialisten als „lebensunwert“.1 Als Konsequenz hieraus wurde ein Verfahren zu ihrer Ermordung entwickelt. Jedoch galt Mord auch im NS-Staat als Verbrechen und wurde schwer geahndet. Wollte man den „Volkskörper“ dennoch von „Ballastexistenzen“ befreien, musste das streng geheim geschehen. Deshalb wurde für Kinder mit geistiger Behinderung oder Missbildung ein besonderes Verfahren entwickelt. Dessen Umsetzung begann mit der Einführung einer Meldepflicht. Angeblich zur Klärung wissenschaftlicher Fragen und frühzeitiger Erfassung aller einschlägigen Fälle vorgesehen, diente sie tatsächlich zur Vorbereitung und Verschleierung der systematischen Ermordung betroffener Kinder.

Ärzte und Hebammen mussten Kinder mit angeborenen schweren Leiden an ihr zuständiges Gesundheitsamt melden. Von dort ging die Information weiter nach Berlin zum „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“. In der Kanzlei des Führers angesiedelt, war auch dieser Reichsausschuss nichts anderes als die Organisationszentrale für Kindereuthanasie. In einem bürokratischen Umlaufverfahren entschieden dort drei Ärzte ohne viel Aufhebens über Leben oder Tod. Die Kinder, über deren Schicksal zu entscheiden war, hat keiner der drei jemals gesehen. Anhand von Fragebogen trafen sie ihre Entscheidung. Ein Kreuzchen an der vorgesehenen Stelle des Fragebogens war gleichbedeutend mit Mord, was als „Behandlung“ in einer „Kinderfachabteilung“ umschrieben wurde.

Eines von 79 Stuttgarter Opfern dieses Verfahrens war Gabriele Machauer. Sie wurde am 20. Mai 1944 in der „Kinderfachabteilung“ der Stuttgarter Kinderklinik ermordet.Dass hilflose Menschen spurlos „ausgemerzt“ werden konnten, war möglich geworden, weil den „Predigern des schnellen Todes“ nicht von Anfang an entschieden entgegengetreten und die Menschenwürde nicht entschlossen verteidigt wurde. Als das Morden in vollem Gange war, waren Widerstand und offene Worte lebensgefährlich geworden. Mehr als 80 Jahre nach Gabrieles Tod ist es wieder dringend geworden, Verächtern von Demokratie und Menschenrechten, Populisten und Leugnern des Holocaust entschieden entgegenzutreten.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser fundamentale Grundsatz unserer Verfassung gilt ausnahmslos für alle Menschen. Gabriele ist dieser Würde beraubt und qualvoll ermordet worden. Daran sollen ihr Stolperstein und das Bild oben erinnern, das Mechtild Schöllkopf-Horlacher> geschaffen hat, um dem Mädchen wieder ein Gesicht zu geben.

Kolpingstraße 31, Stolperstein verlegt am 28. April 2017

Name und Lebensdaten, mehr ist von Gabriele nichts geblieben. Diese Spurlosigkeit hat , ihr mit Mitteln der Kunst wieder ein Gesicht zu geben. Dabei ist folgendes „In memoriam Gabriele M.“ betitelte Bild entstanden.

  • 1. Der folgende Text stützt sich auf Karl-Horst Marquart: Die Stuttgarter Opfer der NS-Kindereuthanasie. In: Elke Martin (Hrsg.): Verlegt. Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart, Stuttgart 2011. Ders.: Behandlung empfohlen. NS-Medizinverbrechen an Kindern und Jugendlichen in Stuttgart, Stuttgart 2015

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