Man versteht, dass Lina Schaaf Antrag auf Bevorschussung ihrer Rückerstattungsansprüche gestellt hat, wenn man erfährt, dass sie von 37,40 Mark Monatsrente leben musste, während für ihre 30 Mark Monatsmiete das Wohlfahrtsamt aufkam. Das von ihr mit 2794,75 Mark bezifferte Vermögen drohte also rasch zu schwinden. Indessen wurde gegen ihren Antrag geltend gemacht, sie sei „nicht testamentarische oder gesetzliche Erbin des Verfolgten, also auch nicht Berechtigte im Sinne des Rückerstattungsgesetztes“. Dabei war offensichtlich, dass Lina Schaaf im Sinne Rudolf Bernhard Loewes sehr wohl Berechtigte war. Er hatte lediglich seine ihr erteilte Vollmacht zu unterschreiben versäumt. Hätte also ein wohlmeinender Sachbearbeiter Lina Schaaf geraten, diesen Formfehler beheben und den verschollenen Halbbruder Hans Martin für tot erklären zu lassen, die Dinge wären anderes gelaufen. Wäre das zuviel der Wiedergutmachung gewesen?
Immerhin wurde Frau Schaaf im April 1948 zwecks Prüfung der Rechtslage gebeten, beim Justizministerium vorzusprechen und im Juni zur Formulierung eines „ordnungsgemäßen Rückerstattungsantrages“ aufgefordert. Diesen Antrag vom 1. Juli 1948 ergänzte sie durch einen „Antrag auf Verwilligung vorläufiger Leistungen“ an die Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung. Der Öffentliche Anwalt für die Wiedergutmachung konstatierte zwar „eine unmittelbare politische Verfolgungsmaßnahme“, befand jedoch, bei „der verhältnismäßig geringen Höhe des erlittenen Schadens erscheint […] die Bewilligung einer laufenden Unterhaltsrente nicht gerechtfertigt. Es wird die Zahlung einer einmaligen Beihilfe zur Überbrückung des augenblicklichen Notstandes der Antragstellerin von etwa 300,— bis 500,— DM in Vorschlag gebracht.“
Im August wird der inzwischen Siebzigjährigen mitgeteilt, für ihren Fall sehe das Gesetz keine Möglichkeit der Wiedergutmachung vor. Hiergegen legt sie Berufung ein, der vom Justizministerium stattgegeben wird, das ihr „eine einmalige Beihilfe von 500,— DM bewilligt“. Im September 1948, sie lebt mittlerweile im Altersheim Villa Augusta in der Alexanderstraße, folgt ihr nächster Hilferuf: „Zur Bestreitung dringendster Ausgaben, z.B. einer Zahnprothese im Betrag von DM 80,— und sonstiger dringender persönlicher Anschaffungen fehlen mir die Mittel. Meine monatlichen Bezüge aus der Invalidenversicherung und vom Wohlfahrtsamt Stuttgart reichen lediglich zur Bestreitung meines Aufenthalts im Altersheim Villa Augusta.“ Die Landesbezirksstelle befürwortet daraufhin „die Gewährung einer Beihilfe aus übergesetzlichen Mitteln in Höhe von DM 200,—“, kommt jedoch zu dem Schluss, dass Frau Schaaf „Entschädigungsansprüche aus eigenem Recht“ nicht zustehen.
Im April 1954 endlich kam man überein, dass der Antragstellerin vom Deutschen Reich Schadenersatz in Höhe von 2250,— DM für das Cello und 1500 DM für Mobiliar und Bekleidung zu beanspruchen habe. Aufgrund dieser anerkannten Rückerstattungsforderung stellte sie bei der Oberfinanzdirektion Antrag auf Gewährung eines unverzinslichen Darlehens, das ihr in Höhe von 700,— DM gewährt wurde.
Dass Lina Schaaf Entschädigung auch für die aus dem ihr geschenkten Vermögen bezahlte Judenvermögensabgabe erheischte, hat einen besonders gewissenhaften Beamten zu folgender Feststellung veranlasst: „Die Aktiv-Legitimation der Antragstellerin ist nicht nachgewiesen. Es ist ungeklärt, wer Erbe des Gerhard Loewe ist. Ferner ist nicht nachgewiesen, dass die Antragstellerin Eigentümerin der Wertpapiere, mit welchen der größte Teil der Judenvermögensabgabe gezahlt wurde, und Inhaberin der Forderungen, die Gerhard Loewe gegen die Deutsche Bank hatte, geworden ist. Im Rückerstattungsverfahren wurde ohne jegliche Begründung unterstellt, dass die Antragstellerin Eigentümerin der Wertpapiere war. Selbst wenn dies der Fall gewesen ist, stehen ihr aus eigenem Recht keine Ansprüche zu. Entschädigung nach §21 BEG wird nur an denjenigen, dem die Sonderabgaben „auferlegt“ wurden, bezahlt. Auferlegt wurde die Judenvermögensabgabe offensichtlich nicht ihr, sondern dem Gerhard Loewe.
Ich halte es daher für geboten, die Erben zu ermitteln und diese zu veranlassen, ihre Entschädigungsansprüche an die Antragstellerin abzutreten
Ersatz der Pflegekosten kann nicht gewährt werden. Einer der BEG bzw. EG aufgeführten Tatbestände liegt nicht vor. Die Anwendung des §23 BEG kommt – auch wenn man unterstellt, dass die Antragstellerin selbst verfolgt wurde – nicht in Frage. Die Verfolgung war für den Eintritt des Schadens nicht kausal. Die Antragstellerin hat nämlich, unabhängig von der Verfolgung, dem Gerhard Loewe Unterhalt gewährt. Der Schaden trat dadurch ein, dass die zur Deckung der Kosten übereigneten Möbel usw. beschlagnahmt wurden. Dieser Tatbestand begründet allein Rückerstattungsansprüche.“
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