Cannstatter Stolperstein-Initiative

Hermann Mannheimer: Im "Judenhaus" gestorben

Enteignet, entrechtet und durch den Judenstern diskriminiert starb Hermann Mannheimer 1944. Die Mischehe mit seiner mutigen Frau Sofie hat ihn vor der Deportation bewahrt, aber die „Arisierung“ des angesehenen Familienbetriebs hat auch sie nicht zu verhindern vermocht. Das Ehepaar wurde 1941 aus seiner Wohnung gedrängt und musste bis zu Mannheimers Tod unter elenden Bedingungen in „Judenhäusern“ leben.

Hermann Mannheimer (undatiert)Hätte Hermann Mannheimer gewusst, was wir heute wissen, er wäre zweifellos dem Beispiel seines Bruders gefolgt und hätte Deutschland rechtzeitig verlassen. Zu seinem Bleiben wird außer diesem Nichtwissen beigetragen haben, dass er im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte und eine Prothese tragen musste. Vermutlich hat ihn auch das Ehrenkreuz für Frontkämpfer darin bestärkt, von einer Auswanderung abzusehen. Die 1934 vom damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gestiftete Auszeichnung wurde ihm 1935 auf Antrag verliehen. Die Verleihungsurkunde trug die Unterschrift Adolf Hitlers, dies dürfte nicht nur Mannheimer in der Überzeugung bestärkt haben, als Frontkämpfer und Träger weiterer Auszeichnungen werde er unbehelligt bleiben. Von alledem abgesehen trug er Verantwortung für das Familienunternehmen Falk Adler und war – last not least – mit einer „arischen“ Frau verheiratet. Dies war ein gewisser Schutz und hat verhindert, dass Hermann Mannheimer einer Deportation und dem Tod im KZ zum Opfer fiel.

Zahllos waren die Drangsale, die sich das NS-Regime für Juden einfallen ließ. Bis Mai 1941 konnte Mannheimer mit seiner Frau noch in der Kegelenstraße 1 lebenÄußerlich unverändert: das Wohnhaus der Mannheimers, Kegelenstraße 1, im Jahr 2011, seinem letzten frei gewählten Wohnsitz. Dann musste das Paar in die Gustav-Siegle-Straße 36 umziehen, ein Haus, das zu dieser Zeit noch in jüdischem Besitz war. Weshalb die beiden dann nacheinander in die weiteren „Judenhäuser“ Waldstraße 4 und Hospitalstraße 36 umziehen mussten, lässt sich am ehesten damit erklären, dass sie durch „Arisierung“ nacheinander hinausgedrängt wurden. In der Hospitalstraße starb Hermann Mannheimer am 3. April 1944, enteignet, entrechtet und durch den Judenstern stigmatisiert. Sein kleiner Nachlass verfiel dem Deutschen Reich. Es gab zu dieser Zeit in Stuttgart keinen jüdischen Arzt mehr, der sich seiner hätte annehmen können. Umso größere Hochachtung verdient Sofie Mannheimer, die aller Anfeindungen und Beleidigungen ungeachtet ihrem Mann bis zuletzt die Treue hielt.

Hermann Mannheimer kam am 8. November 1885 in Oedheim (Kreis Neckarsulm) als siebtes von zehn Kindern und als dritter von insgesamt sechs Söhnen1des Handelsmannes Raphael Mannheimer und seiner Frau Adelheid zur Welt. Damals war die kleine jüdische Gemeinde des Dorfes bereits im Schwinden begriffen. Auch Hermann und sein älterer Bruder Heinrich haben ihre berufliche Chance in der Stadt gesucht. 1912 kauften sie ihrer verwitweten älteren Schwester Rosa Falk die Firma Falk Adler für stolze 95 000 Goldmark ab. Gegenstand dieses Unternehmens war der Schrott- und Metallhandel, in geringerem Umfang auch der Verkauf von Nutzeisen. „Durch den Unternehmergeist der beiden Brüder Inhaber wurde das Geschäft erheblich vergrößert, und es entwickelte sich zu einer allgemein hoch angesehenen Firma, insbesondere wurde auch das Nutzeisengeschäft durch Aussortierung brauchbarer Altmetalle […] erheblich ausgebaut. Ein großer Kundenkreis deckte aus diesem umfangreichen und reichhaltigen Lager seinen Bedarf, sodass das Unternehmen, auch wirtschaftlich gesehen, ein nicht wegzudenkender Begriff wurde.“2

Kein Wunder, dass sich begehrliche „Ariseure“ fanden, als der NS-Staat alles daran setzte, jüdische Unternehmer aus dem Wirtschaftsleben zu verdrängen. Die Brüder Mannheimer versuchten zwar, die Firma an ihren bewährten Mitarbeiter Gustav Gottschick zu verkaufen, doch diesen Plan durchkreuzte die Gauwirtschaftskammer, indem sie einem „alten Kämpfer“ und Parteigenossen den Vorzug gab. Immerhin gelang es den Brüdern, Gottschick als Minderheitsgesellschafter durchzusetzen. „Nach welchen Gesichtspunkten die Vertragsbedingungen von der Gauwirtschaftsstelle festgelegt wurden lässt sich aus der Äußerung des stellvertretenden Gauwirtschaftsberaters Bernlöhr schließen.Kegelenstraße 1, Stolperstein verlegt am 23. November 2011. Dieser schrie anlässlich der Vorsprache des Gesellschafters Hermann Mannheimer aus seinem Zimmer heraus: ‚Diese jüdische Drecksau empfange ich nicht.‘“ Dem entsprach es, dass den Brüdern ein Verkaufspreis diktiert wurde, der dem Unternehmenswert nicht einmal annähernd entsprach. Aus dem Erlös mussten sie zynischerweise die Arisierungskosten tragen und 3000 RM an die Deutsche Arbeitsfront abführen. Hermann Mannheimer durfte nach dem Verkauf gegen monatlich 500 Reichsmark zunächst als Mitarbeiter in der Firma verbleiben. Mit anderen Worten profitierten die neuen Eigentümer von seinen Verbindungen und seinem Know-how. Sie bezahlten ihm 500 RM, ein Viertel dessen, was er als Unternehmer in den Jahren zuvor erwirtschaftet hatte. Nach einem halben Jahr wurde ihm jedoch von der Gestapo eröffnet, die Gefolgschaft (Belegschaft) weigere sich, mit einem Juden zusammenzuarbeiten. Von da an war Hermann Mannheimer ohne Einkommen, der Zugriff auf sein Vermögen war ihm verwehrt, sein stattliches Mehrfamilienhaus in der Kegelenstraße war 1936 unter bisher ungeklärten Umständen in arischen Besitz übergegangen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Sofie Mannheimer das Unternehmen Falk Adler zurück. Ihr Vertrauen in Gustav Gottschick war offensichtlich ungebrochen. Ihm hat sie später das Unternehmen verkauft, in dessen Ahnengalerie sie und die Brüder Mannheimer bis heute einen Ehrenplatz haben. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass sich der heutige Firmenchef Günter Gottschick für die Pflege des Mannheimer-Grabes im jüdischen Teil des Pragfriedhofs verantwortlich fühlt.Sofie Mannheimer, undatiert


© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative
© Bilder: Falk Adler GmbH; Anke Redies

  • 1. Diesen und andere Hinweise auf die familiären Zusammenhänge verdanken wir Thomas Seitz von der Kolpingsfamilie Oedheim, die einen Stolperstein für Anna Mannheimer, Hermann Mannheimers älteste Schwester, verlegt hat.
  • 2. Dieses und alle folgenden Zitate aus StAL EL 350 I, Bü 1997

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