Cannstatter Stolperstein-Initiative

Ferdinand und Susanne Mayer - durch Arisierung aus dem Haus gedrängt

Das Grab Susanne Mayers auf dem jüdischen Friedhof Oberdorf (Aufnahme 2012).Das Grab Ferdinand Mayers auf dem jüdischen Friedhof Oberdorf (Aufnahme 2012).Am 15. Januar 1883 haben der 26-jährige Ferdinand Mayer und die 24-jährige Susanne Lußheimer in Hockenheim geheiratet. Bald darauf zogen sie in die damalige Oberamtsstadt Cannstatt, wo am 24. Oktober die Tochter Chevra geboren wurde. Ihr folgten am 16. April 1885 ein Sohn, Ludwig genannt, und am 9. Dezember 1886 die Tochter Meta.

Nach einigen Wohnungswechseln bezog die Familie 1929 das Reihenhaus Kirchstraße 16, das sie in den späten Dreißigerjahren vom Vorbesitzer erwarb. Ferdinand Mayer, der Kaufmann gewesen war, hatte sich zu dieser Zeit schon aus dem Berufsleben zurückgezogen. Die beiden älteren Kinder waren verheiratet und aus dem Haus. Meta, die jüngste Tochter, war berufstätig und lebte mit den Eltern unter einem Dach. Dank eines angesparten Vermögens konnten die Mayers, beide schon über 70 Jahre alt, einem geruhsamen Lebensabend entgegensehen. 1933 jedoch verdüsterten sich ihre Zukunftsaussichten wie die aller deutschen Juden dramatisch. In richtiger Einschätzung der politischen Lage verließen die ältere Tochter und der Sohn Deutschland. Vielleicht bekamen die Eltern aufgrund ihres zurückgezogenen Lebens den Verfolgungsdruck der ersten Jahre nicht gar so deutlich zu spüren. Als aber das NS-Regime die Juden nach der Reichspogromnacht für die von ihm selbst angerichteten Schäden verantwortlich machte und ihnen eine Kontribution auferlegte, traf dies Ferdinand und Susanne Mayer mit 9.000 RM. Dadurch finanziell überfordert, sahen sie sich gezwungen, ihr Haus zu verkaufen. Die Möglichkeit, den Preis frei auszuhandeln war ihnen von vorneherein genommen, weil, wie § 13 des Kaufvertrages ausdrücklich festschrieb, „gegenwärtige Niederschrift der Devisenstelle Stuttgart, der Städt. Preisstelle für Grundstücke, dem Gauwirtschaftsberater und dem Wirtschaftsministerium vorzulegen ist“. Diese multiple Preiskontrolle hatte ein doppeltes Ziel: Juden sollten aus der Stadt gedrängt und gezwungen werden, ihr Eigentum unter Wert zu verkaufen, zweitens sollte ihr Vermögen staatlichem Zugriff offen stehen, weshalb das Mayersche Konto bei der Dresdner Bank schon seit Dezember 1938 von der Devisenstelle unter Sicherungsanordnung gestellt worden war. Der damalige Käufer hat diesen klaren Fall von Arisierung im Zuge seiner Entnazifizierung folgendermaßen verharmlost: „Nach der Unvermeidbarkeit der zwangsweisen Enteignung tätigte der jüdische Besitzer, mit dessen Familie ich schon seit längerer Zeit bekannt war, den Kaufabschluss mit den Worten, dass ich und kein anderer unter den vielen Bewerbern sein Wohnhaus erhalte.“ (StAL EL 902/20 Bü 28046). Ferdinand Mayer war fast 83 Jahre alt, als er im Juni 1939 mit Unterzeichnung des Kaufvertrages praktisch seiner Enteignung zustimmte. Und wenn der Ariseur geltend machte, der im Juni 1939 bezahlte Kaufpreis von 28.000 RM sei „über dem höchsten Schätzungspreis“ bezahlt worden, so hat er diese Behauptung einerseits nicht belegt, zum anderen ging er stillschweigend über § 11 des Vertrages hinweg, wo der „Verkäufer erklärt, dass ihn das von ihm erbaute Haus mit Bauplatz 1927/28 nach den in seiner Hand befindlichen Belegen 36.400 RM gekostet hat.“ (StAL EL 902/20 Bü 28046).

Bis 30. Juni 1939 durften die Mayers noch als Mieter in ihrem Hause bleiben, dann mussten sie in die Wernlinstraße 6 umziehen. In dieses Haus eines jüdischen Besitzers waren zu dieser Zeit zwölf jüdische Familien hineingedrängt. Dorthin musste auch Meta Mayer ihre Eltern begleiten und das Stigma der Ausgrenzung im „Judenhaus“ mit erleiden. Eine andere Form der Ausgrenzung war, dass sie zweimal ihre Arbeit verlor, nicht etwa schlechter Leistung wegen, sondern weil sie Jüdin war. Als sie im April 1941 in die Vereinigten Staaten auswandern konnte, mögen ihre Eltern Mayer das einerseits mit Erleichterung aufgenommen haben, andererseits war dies unter den gegebenen Umständen ein Abschied für immer von der Tochter und ein Verlust auch insofern, als sie nicht länger die „geschäftlichen Angelegenheiten“ ihrer hochbetagten Eltern regeln konnte, wie sie später schrieb.

Am 23. Dezember 1941 wurde das Girokonto der Mayers mit 300,- RM belastet. Der Hinweis “Umsiedlung” auf dem Kontenblatt verweist auf ihre Zwangsevakuierung nach Oberdorf, wo Ferdinand Mayer nach wenigen Tagen am 1. Januar 1942 starb. Seine Frau folgte ihm ein halbes Jahr später am 7. Juli. Im April 1943 wurde auf Verfügung der Gestapo das restliche Vermögen der Mayers in Höhe von 7.400 RM zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Emser Straße 16, Stolpersteine verlegt am 16. April 2012.

© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative
© Bilder: Anke Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative

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