Cannstatter Stolperstein-Initiative

Johanna Grau: "Verlegt" nach Grafeneck

Hofener Straße 84a, Stolperstein verlegt am 17. Mai 1914.Rund 70 000 Menschen fielen von 1940 bis 1945 der NS-„Euthanasie“ zum Opfer. Um zu verstehen, wie es zu diesem organisierten Massenmord kam, muss man die Vorgeschichte kennen. Als einer der ersten hat der zu seiner Zeit berühmte Naturforscher Ernst Haeckel (1834-1919) einer künstlichen Auslese das Wort geredet. Den schnellen Tod der Wehrlosen haben auch der Psychiater Auguste Forel (1848-1931), der Physiologe John B. Haycraft (1857-1922), der Jurist Adolf Jost (1874-1908) und Alfred Ploetz (1860-1940) befürwortet, dessen Programm künstliche Auslese und „Rassenhygiene“ miteinander verquickte. Schließlich rechtfertigten 1920 der Arzt Alfred Hoche und der Jurist Karl Binding die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“, was die Nationalsozialisten mit Programmen wie T4 und 14f13, mit dezentraler Euthanasie und Kindereuthanasie zur Maxime ihres Handelns erhoben.

Ein Erlass des Reichsinnenministers vom Oktober 1939 schuf die Voraussetzung für die Realisierung des Mordprogramms. Damit wurden die südwestdeutschen Heil- und Pflegeanstalten aufgefordert, ihre Patientinnen und Patienten zu melden sowie über ihre Arbeitsfähigkeit und Verweildauer Auskunft zu geben. Als erster Ort der Vernichtung wurde Schloss Grafeneck auf der Schwäbischen Alb eingerichtet. Allein dort wurden 1940 mehr als 10.000 wehrlose Frauen, Männer und Kinder in Kohlenmonoxidgas erstickt. Johanna Grau erlitt dieses Schicksal am 18. September 1940.

Dass hilflose Menschen spurlos „ausgemerzt“ werden konnten, war möglich geworden, weil den „Predigern des schnellen Todes“ nicht von Anfang an entschieden entgegengetreten und die Menschenwürde nicht entschlossen verteidigt wurde. Als dann die Theorie in die Tat umgesetzt und das Morden in vollem Gange war, war es zu spät. Widerstand und offene Worte waren lebensgefährlich geworden. Mehr als 80 Jahre nach Johanna Graus Tod ist es wieder dringend geworden, Verächtern von Demokratie und Menschenrechten, Populisten und Leugnern des Holocaust entschieden entgegenzutreten.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, steht im Grundgesetz. Johanna Grau ist dieser Würde beraubt und qualvoll ermordet worden. Daran und an die Neigung des Menschen zur Hybris soll ihr Stolperstein erinnern.

"Mit zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern haben auch Bad Cannstatts Bezirksvorsteher Bernd-Marcel Löffler und Stadträtin Marita Gröber an dieser Stolperstein-Verlegung teilgenommen.
Mit Lesungen und einer bewegenden musikalischen Einlage gaben behinderte Menschen vom Haus Clemens von Galen dieser Verlegung einen eindrucksvollen Verlauf.

© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolpersteininitiative
© Bilder: Anke Redies und Petra Siebholz, Cannstatter Stolpersteininitiative

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