Cannstatter Stolperstein-Initiative

Hans Lang: In jungen Jahren von der Krankheit heimgesucht

In knappen Worten ließe sich Hans Langs Leben beschreiben, hätte ihn nicht eine Krankheit ereilt, die ihn aus Sicht der Nationalsozialisten für gleichermaßen gefährlich wie lebensunwert gemacht hat.

In Bondorf (Kreis Böblingen) am 26. Februar 1911 geboren, hat Hans Lang in Cannstatt die Volksschule besucht, eine Schlosserlehre durchlaufen und anschließend in seinem Beruf gearbeitet. Er blieb bei seinen Eltern in der Glockenstraße wohnen, wo der Vater eine Milchhandlung betrieb. Über sein Verhältnis zu seinen Schwestern ist nichts bekannt. Mit ungefähr 19 Jahren kündigte sich mit Unruhe, Schlaflosigkeit und Aufgeregtheit eine Wesensveränderung an. Er ging nimmer zur Arbeit, blieb ständig zu Hause. Seine Eltern scheinen abgewartet zu haben, vielleicht im Vertrauen darauf, dass Hans schon immer ein stilles braves Kind gewesen war, wie der Vater später im Gespräch mit Ärzten angab. Um Hilfe hat die Familie jedenfalls erst 1935 nachgesucht, als der Druck offenbar zu groß und aus dem stillen Kind ein stummer, ganz in sich selbst verkapselter junger Mann, geworden war, den der Hausarzt ins Bürgerhospital überwies. Jedoch holte die Mutter ihren Sohn schon nach vier Tagen von dort wieder ab, „vor allem aus wirtschaftlichen Gründen“, wie die Krankenakte vermerkt, die aber auch hervorhebt, dass der Vater seinen Sohn gut betreut, gefüttert und auf seine täglichen Wege zur Kundschaft mitgenommen hat.

Die Eltern dürften kaum gewusst haben, das ihr mittlerweise 24-jähriger ihr Sohn mit der ihm gestellten Diagnose Schizophrenie vom „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ betroffen war, das am 1. Januar 1934 in Kraft getreten war und zur Folge hatte, dass seine Erkrankung umgehend dem Städtischen Gesundheitsamt gemeldet wurde. Damit kreuzten sich die Wege von Hans Lang und Dr. Karl Lempp, seines Zeichens stellvertretender Leiter des Gesundheitsamtes, der mit seiner Unterschrift die Zwangssterilisierung vieler Patienten besiegelt hat.1 Er stellte alsbald Antrag auf Unfruchtbarmachung. Daraufhin werden die Eltern Lang vor das Erbgesundheitsgericht geladen, wo sie, wohl mit Bezugnahme auf die Apathie ihres Sohnes, sich dahingehend äußerten, das es keinen Wert habe, ihren Sohn zu sterilisieren. Dessen ungeachtet wird Lempps Antrag zurückgewiesen, denn das Gericht ist der Auffassung, das Hans Lang sich im Endzustand seiner Erkrankung befindet. „und bei seinem zunehmenden Leiden keine Gefahr der Fortpflanzung mehr besteht. Auch wird schon fraglich sein, ober er die Gefahr eines Eingriffs körperlich überstehen kann.“

Im Mai 1938 scheinen die Eltern Lang mit der häuslichen Pflege ihres Sohnes wieder überfordert gewesen zu sein. Er kommt erneut ins Bürgerhospital, wo er sich als vollkommen unansprechbar erweist. Deshalb soll er nach Meinung der Ärzte in der Württembergischen Heilanstalt Zwiefalten untergebracht werden. Weil der Vater lange erwägt, den Sohn wieder nach Hause zu nehmen, verzögert sich die Überstellung um Wochen. Hätte der Vater mehr auf sein Gefühl als auf rationale Argumente geachtet, wäre sein Sohn dem Zugriff der NS-Behörden entzogen und der ganzen Familie ein schreckliches Schicksal erspart geblieben. So aber nahm das Schicksal seinen Lauf. Weil man in Zwiefalten hoffte, nach einer Insulinkur könne Hans Lang in eine halboffene Anstalt oder in Familienpflege zurückkehren, wurde erneut Sterilisierung beantragt, diesmal als Vorbedingung künftiger Entlassung. Dem Gesetz zufolge durfte ein Kranker unfruchtbar gemacht werden, wenn „nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.“ Aus der vagen Hoffnung auf einen therapeutischen Erfolg folgerte das Erbgesundheitsgericht, dass „Fortpflanzungsgefahr nicht auszuschließen“ sei. Große Wahrscheinlichkeit zu beweisen, machte es sich nicht die Mühe. Mit juristischem Geschick, über das er schwerlich verfügte, hätte der Vater als bestellter Pfleger Einspruch erheben können, doch wird er um so bereitwilliger zugestimmt haben, weil sich damit Hoffnung auf Heimkehr des Sohnes auftat.. Die Operation wurde am 15. März 1939 ambulant in der Heilanstalt Zwiefalten durchgeführt. Die „Gefahr erbkranken Nachwuchses“ war gebannt. Ob und mit welchem Erfolg daraufhin die in Aussicht genommene Insulinkur durchgeführt wurde, geht aus den überkommenen Akten nicht hervor, bekannt ist jedoch, dass sie am 5. August des folgenden Jahres mit dem Vermerk „verlegt“ abgeschlossen wurden. Damit war Hans Lang für lebensunwert befunden und zur Deportation nach Grafeneck bestimmt, wo er am selben Tag in der Gaskammer ermordet wurde.

Stolpersteinverlegung am 27. Oktober 2016Glockenstraße 46; Stolperstein verlegt am 27. Oktober 2016.

© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative
© Bild: Stadtarchiv Stuttgart, Petra Siebholz, Cannstatter Stolperstein-Initiative

  • 1. Siehe Karl-Horst Marquart: Karl Lempp. Verantwortlich für Zwangssterilisierungen und „Kindereuthanasie2: In. Abmayr, Hermann G. (Hrsg.): Stuttgarter NS-Täter. Vom Mitläufer zum Massenmörder. Stuttgart 2009.

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